9.Abbensen

„Ich“-Projekt Abbensen

Foto

Ich
Ich? Wer bin ich? Was seht ihr in mir?
Ist das was ihr seht wirklich Ich?
Alle haben das Recht gleich gesehen zu werden.
Ich habe das Recht wie alle gesehen zu werden.
Alle sehen nicht das Gleiche. Siehst Du mich?

In Zeiten von Facebook und der damit einhergehenden kunstphilosophischen Auseinandersetzung über das „Portrait ohne Gesicht“, liegt es nahe dieses Thema auch mit Jugendlichen im Rahmen der Kinderrechte zu bestimmen. Gesichtsverlust und Identitätsverlust sind wichtige Parameter im Prozess der kindlichen Selbstbestimmung. Äußere Einflüsse bestimmen diese Gradwanderung im Erwachsenwerden.

Wir haben uns entschieden diese Problematik für den Kunststandort Abbensen fotografisch mit Jugendlichen im Alter von 15-18 Jahren zu bearbeiten. Im Vorfeld wurde mit dem Ortsrat Abbensen über eine mögliche Aufwertung des Geländes durch eine Sitzmöglichkeit für ortsansässige Jugendliche diskutiert. Dabei bot sich eine überdachte Sitzgruppe an, die dem Gesamtkunstwerk einen benutzbaren Rahmen geben und die Fotografien der Schüler sichern und exponieren sollte.

Dank der Großzügigkeit von Rektorin Frau Klapper konnten wir eine konzentrierte Kunstwoche lang ununterbrochen mit den Schülern arbeiten. Wir begaben uns dazu in mein Atelier und unsere Scheune, was den Zusammenhalt der Gruppe stärkte und auch die Schulatmosphäre verdrängte. Es entstand ein improvisiertes Fotostudio, ein Schminksalon, eine Theorielounge … Die Schüler, die sich bei mir einfanden waren großartig! Schnell, unkompliziert, präzise wurde die Technik der Portraits erfasst und umgesetzt.

Künstlerisch diskutiert wurde das biometrische Passbild, die Frage der Identität und Gruppenzugehörigkeit über typische Merkmale und die Möglichkeit eine Deutung von Gesichtern durch minimale, störende Eingriffe zu variieren. Beispiele aus der Kunstgeschichte wurden angesehen, erste biometrische und frontale, der Mimik entbehrende Portraits angefertigt.

In der nächsten Phase veränderten die Schüler mittels Plastillin, wie es Schauspieler verwenden, das Gleichgewicht ihres Portraits. Dabei wurde Gruppenarbeit und Spiegel großgeschrieben. Von Pickel bis Beule war alles erlaubt. Wichtig war die Erkenntnis, dass winzige Eingriffe die Persönlichkeit extrem verändern.

Die Resultate wurden fotografiert und in der ganzen Gruppe diskutiert.

Jetzt wurden gezielt reflektierte Portraits mit künstlicher Veränderung fotografiert. Dabei erwies sich als besonders eindrucksvoll das Tragen einer Glatze. Das bloße Fehlen der Haare hat in seinem Verweis auf Krankheit oder Radikalismus eine verheerend brutale Wirkung. Auch der Einsatz von Kunstblut und schwarzer Schminke wurde von den Schülern erprobt. Von jedem Schüler entstanden drei brauchbare, in der Wirkung extrem diametrale Aufnahmen.

Die ganze Gruppe suchte von jedem Schüler Portraits aus. Abgesehen vom technischen Knowhow, das ganz nebenbei beim Fotografieren vermittelt wird, gewannen jetzt alle eine Vorstellung davon, dass Andere vielleicht Fotos toll finden, die man selbst kaum erträgt. Das vermittelte uns einen Einblick in die Ambivalenz der Selbstreflexion und Fremdwahrnehmung. Die von den Schülern getroffene Auswahl wurde mit je dreißig Fotos beidseitig als wetterfestes Banner in die Sitzgruppe integriert und zwar derart, dass sie die Kommunikation der sich gegenüber Sitzenden verhindert. Wer hier sitzt wird gezwungen, das fotografische Statement anzusehen und sich wortwörtlich auseinander zu setzen.

Durch die beidseitige Portraitreihe wird man an diesem Tisch ständig mit fremden Identitäten konfrontiert, die einen beobachten, anklagen, fragen und zur Stellungsnahme auffordern. Auf der Suche nach den Ichs macht es außerdem einfach auch Spaß wie in einem Puzzle die identischen Personen herauszufinden. Abschließend wurde die ganze Sitzgruppe künstlerisch ausgestaltet und schwarz/weiß/ grau angemalt, sodass Farbe und Gestaltung mit der Portraitreihe korrespondieren und das Kunstwerk gleich als Einheit begriffen werden kann.

Wir hatten viel Spaß und Input und sind ganz furchtbar stolz auf unsere Künstler!
Heike Schötker (Künstlerin), Sylvia Beins (Lehrerin am Gymnasium Mellendorf)


Standort: Abbensen
Umsetzung: Mareile S., Marlon A., Louisa H.,
Ann-Christin S., Arlena F., Philipp M., Christin S.,
Nora S., Henna G., Luna G.
Pädagogische Begleitung: Sylvia Beins
Künstlerische Leitung: Heike Schötker